1654 hatten die seinerzeitigen Lemgoer Bürgermeister Dr. Kerkmann und Kleinsorge die Hexenprozessen seit einem Jahr wieder aufgenommen. Im ersten Jahr wurden 18 Frauen und Männer als Hexen und Zauberer verurteilt und hingerichtet.

Unter ihnen auch der Lehrer Hermann Beschoren in Lemgo, der verhaftet wurde, weil in der Stadt das Gerücht umging, er habe viele seiner Schüler zum „Bunde mit dem Teufel“ verführt. Unter den Qualen der Folter gab er schließlich zu, 17 Kinder im Alter zwischen neun und vierzehn Jahren das Zaubern gelehrt zu haben.

Die Lemgoer Bürgermeister wollten Beschoren „zum Schwert begnadigen“ und hinrichten lassen, doch der Landesherr Graf Hermann Adolf zur Lippe griff in das Verfahren ein und untersagte dem Scharfrichter die Urteilsvollstreckung. Außerdem verlangte er die Auslieferung der Kinder, die nicht aus der Stadt Lemgo stammten, unter ihnen die Brüder Hermann Christoph und Barthold Niedermeier aus Lückhausen.


Die Brüder wurden am 23.08.1654 in Detmold verhört. Hermann Christoph gab zu Protokoll, seit eineinhalb Jahren bei Beschoren in der Schule gewesen zu sein und von ihm das Zaubern gelernt zu haben. Dabei habe er „drei Fuß zurücktreten und Gott, Sonne und Mond abschwören müssen“. Danach sei ein Weibesstück mit schwarzem Gesicht und rotem Rock aus einem Bett zu ihm gekommen und habe ihm die Hand gegeben, welche sehr kalt gewesen sei. Das Weib sei dann abends zu ihm ins Bett gekommen, wofür er sechs Groschen bekommen habe, für die er Stuten gekauft habe. Auf diese Weise habe auch sein Bruder Barthold das Zaubern gelernt.

Beschoren habe ihm auch ein schwarzes Kraut gegeben, mit dem er eine Katze „vergeben“ und einer alten Frau Unglück habe bringen sollen. Er habe das Kraut aber weggeworfen. Der Lehrer habe ihm auch gesagt, er brauche nicht zu beten und Fluchen schade ihm nicht.


Als äußeres Zeichen für den Bund mit dem Teufel habe Beschoren ihm ein Stigma auf den rechten Unterarm gebrannt (Hermann Christoph hatte dort ein Muttermal).


Beide Jungen seien bereit, ihre Aussagen bei einer Gegenüberstellung mit Beschoren zu wiederholen.

Mit diesen Aussagen nannten die beiden Jungen alle „Untaten“, die man Hexen und Zauberern zu der Zeit nachsagte. Erklärlich sind diese Selbstbeschuldigen nur durch den Massenwahn jener Zeit, denn ohne dass es ihnen bewusst war, brachten sich die Brüder damit in Lebensgefahr. Die Hexenjustiz jener Zeit machte keineswegs vor Kindern und Jugendlichen halt.

Ob vor der Hinrichtung Beschorens schlussendlich noch eine Gegenüberstellung mit den Brüdern erfolgte, ist nicht bekannt, doch an Beschorens Schicksal hätte das ohnehin nichts mehr geändert.

Das Urteil wurde am 26.09.1654 durch den Scharfrichter David Claus vollstreckt. Beschoren „wurde uffm Markte uff einen Wagen gesetzt, einmal mit glühenden Zangen und nachgehends unterwegs noch zweimal gerissen, form Thore enthauptet und uffs Feuer geschmissen und verbrannt. Er stellte sich geherzt zum Tode an und hat man ihn nicht einmal schreien gehört“.

Was aber sollte nun mit den „verzauberten“ Kindern geschehen? Hier stand die lippische Justiz vor einem bisher unbekannten Problem und so bat die Regierungskanzlei in Detmold das Lippische Konsistorium und die juristische Fakultät der Universität in Helmstedt um die Beantwortung folgender Fragen:

1. Sollen Kinder im Alter von 5 – 11 Jahren mit einer Strafe wegen Hexerei belegt werden, und

2. falls ja, auf welche Weise und in welchem Maße soll gestraft werden?

Das Konsistorium empfahl darauf hin, „dass solche unmündigen Kinder so weder der Vernunft noch des Judicii (rechtliche Einsicht) mächtig seien, einem erprobten, gläubigen und frommen Lehrer untergeben werden möchten, sie zu bekehren und nicht dem Richter, sie zu verurteilen. Zu welchem Behuf die hohe Gnädige Landobrigkeit nach dero gnädigem Belieben und Verordnung ein Haus an einem bequemen Orte einbauen lassen könnte, darinnen der Schulmeister Tag und Nacht bei ihnen verbleiben, sie zum Katechismo, andächtigen, eifrigen Gebet, Singen und steter Arbeit so lange halten könnte, bis man ein rechtes Zeugnis wahrer Buße und Bekehrung oder Halsstarrigkeit vermerken würde. Alldieweil auch zu ihrer Verpflegung und Alimentation nötige Mittel erforderlich würden, müssten die Eltern, die des Vermögens seien, ihnen Unterhalt verschaffen, die Armen und Dürftigen aber aus den Armenkisten unterhalten werden. Dann müsste zuvörderst in allen Kirchen der Grafschaft der allerhöchste Gott fleißig angerufen werden, dass er die armen und verführten Kinder in Gnaden wieder aufnehme…“.

Das Konsilium der Fakultät in Helmstedt antwortete:

1. Die Kinder sollen nur bestraft werden, wenn sie 14 Jahre alt seien und wenn bei ihnen eine große Boshaftigkeit zu verspüren sei und zwar mit einer Leibesstrafe,

2. diejenigen Kinder, die 11 Jahre alt seien und eine vorsätzliche Boshaft zeigen, sollten mit Ruten gezüchtigt werden und bei der Bestrafung der anderen Kinder durch den Präzeptor anwesend sein,

3. die anderen sollten straffrei ausgehen.

Im übrigen empfahl das Konsilium, die Kinder an den Wohnorten ihrer Eltern in einem Kloster, einem Hospital oder an anderen einsamen Orten eine Zeitlang zu halten und sie in die Gebete in den Kirchen und auf den Kanzeln fürbittend einzuschließen.

Die Hexenkinder wurden darauf hin in einem Gasthaus in Detmold unter der Aufsicht des Lehrers Heinrich Henckhausen untergebracht, in dem sie nach den Vorschlägen der Kirchenbehörde bekehrt und erzogen werden sollten.


Neben Hermann Christoph und Barthold Niedermeier waren das Catharina Margaretha Hoppe aus Sternberg und Ilsabeen Schmitts aus Salzuflen.

Auf Drängen der Eltern und nach einer Prüfung durch die Justizkanzlei empfahl das Lippische Konsistorium nach vierjähriger Haft zur „Umerziehung“, die Kinder nach Hause zurückzuschicken und sie dort der Aufsicht des Pfarrers zu unterstellen.


Doch noch während der diesbezüglichen Beratungen tauchten Beschuldigungen auf, die Kinder seien kürzlich beim Hexentanz gesehen worden und beteiligten sich am Hexentreiben.

Daraufhin wurde ein neues Gerichtsverfahren eingeleitet und die Kinder inhaftiert. Zur Überraschung der Beteiligten erklärte sich Catharina Margaretha Hoppe während der Befragungen für schuldig. Der Pastor Johann Henrich Stöcker berichtete dem Gericht darüber: „Auf Erfordern des Peinlichen Gerichts berichte ich endtbenannter Pfarrherr allhie zu Detmold, dass das Mädchen zu Sternberg mir bekannt habe, dass es nebst allen den anderen im Gasthaus befindlichen Mädchen und Jungen unlängst auf einem Hexentanze wieder gewesen und sich sehen lassen, der Tanz auch in einem vor der Lemgoischen Pforte bunt gemalten Hause gehalten worden.

Gegen die Kinder wurde erneut Anklage erhoben. Die Brüder Niedermeier wurden auf Antrag der Eltern und mit Zustimmung des Gerichts von einem Verteidiger vertreten, der zu Beginn der Verhandlungen eine Verteidigungsniederschrift vorlegte, in der es heißt:

„Hermann Christoph Niedermeier sei mit sieben oder acht Jahren zu Beschoren auf die Schule geschickt worden. Aber leider sei er von dem „verfluchten Schelmen und Teufelsknecht“ Hermann Beschoren gar elendig seduciert und verführt worden. Beschoren habe dem Jungen einen lateinischen Text zum Abschreiben vorgelegt, den er habe nicht lesen können, und dem armen Knaben die Hand beim Schreiben geführt“.


Auf Anordnung der Landesobrigkeit sei dem Knaben und mehreren anderen verführten Kindern „aus sonderlicher hochpreislicher Sorgfalt“ der Schulmeister Henrich Henckhausen verordnet worden. Der habe sich mit Erfolg bemüht, die Kinder in Gottesfurcht zu halten und aus des Teufels Banden wieder zu lösen. Er habe viel mit ihnen gelesen, gesungen, gebetet und auch am Abendmahl teilgenommen, Henckhausen habe Hermann Christoph mit einem Federmesser auch das Stigma abgekratzt. Die Liebe Gottes habe den Knaben wieder aufgenommen.

Bei seiner erneuten Verhaftung habe der Knabe geweint und sich auf Henckhausen berufen.“

Durch den Verteidiger war Hermann Christoph in seinem Verhör sehr gut vorbereitet. Als er gefragt wurde, ob er mit dem Teufel in den Bund getreten sei, antwortete er „Ja, aber er habe sich wiederum daraus begeben, weil er zum heiligen Abendmahl gewesen sei“. Ob er einen Vertrag mit dem Teufel unterschrieben habe, „ja, aber er habe gemeint, der Schulmeister habe ihm auf eine andere Weise das Schreiben lehren wollen“. Ob er mit dem Teufel Treue geschworen habe, „ja, aber er hätte die Worte lange nicht nachsagen wollen, bis der Schulmeister ihn so lange mit einem Stock geschlagen habe, bis er sich nicht habe regen können und die Worte nachgesprochen habe“.

„Ja, aber…“ ist in jeder Antwort des Jungen enthalten. Die Existenz des Hexentums wurde also nicht bestritten, die Beteiligung des Jungen am Hexentreiben bestätigt, die Schuld hierfür jedoch dem bereits hingerichteten Beschoren angelastet.

Nach Abschluss der Beweisaufnahme wandte sich das Gericht an die Universität Rinteln, welche, auch aufgrund des zwischenzeitlich widerrufenen Geständnisses der Catharina Margaretha Hoppe empfahlen, die Kinder

1. aus der Haft zu entlassen,

2. sie noch eine Zeitlang zu beobachten,

3. zum fleißigen Beten , singen und lernen anzuregen und

4. auf ihre Gebärden und ihr Verhalten achte, besonders darauf, ob Zeichen ernsthafter Reue und künftiger Beständigkeit vorhanden seien.

Dann werde sich mit der Zeit ausfindig machen lassen, was der barmherzige Gott zur Bekehrung, zum fernen Gedeihen und zur gnädigen Rettung verleihen wolle.

Mit dieser Empfehlung scheint man nicht zufrieden gewesen zu sein, denn ein zweites Gutachten der Universität Marburg wurde eingeholt, welches jedoch ganz auf der Linie der Rintelner Empfehlungen lag. Sinngemäß hieß es dort: „ Unser geistliches und rechtliches Bedenken betreffend, berichten wir zu Recht, dass so viel es Hermann Christoffeln und Bartholden um Margarethe Catharina betrifft,

1. selbige von ordentlichen Strafen Zauberei betreffend loszusprechen und zu entledigen,

2. jedoch wegen bekannter Exzesse im Gefängnis mit Ruten ziemlichermaßen zu streichen und

3. nach ausgestandener Strafe zu erinnern, sich hinfürder für dergleichen zu hüten, ernstlich mit Bedrohung einer noch viel schärferen Strafe an Leib und Leben,

4. sodann bei guten, ehrlichen und frommen Leuten unterzubringen und in der Gottesfurcht mit Beten, Singen und anderen geistlichen Übungen nach wie vor fleißig zu unterrichten,

5. auf alles ihr Tun und Wesen sorgfältig und genaue Achtung zu geben,

6. das übrige Gott und der Zeit anzubefehlen“.

Die Bestrafung der Kinder wurde im sogenannten „Gasthaus“ vollzogen.

Hermann Christoph Niedermeier, Barthold Niedermeier, Ilsabeen Schmitts und Margaretha Catharina Hoppe wurden von ihrem Schulmeister Henrich Henckhausen brutal ausgepeitscht und noch einmal nachdrücklich darauf hingewiesen, sich zukünftig vor derartigen Exzessen zu hüten, da sie ansonsten noch härtere Strafen zu erwarten hätten.

In den folgenden Tagen wurden die Kinder wieder ihren Angehörigen übergeben. Über den weiteren Lebensweg und wie die Kinder den Zwangsaufenthalt und die Züchtigung seelisch verkraftet haben, ist leider nichts bekannt.

(Quelle: F. Starke – „Lieme – Eine Dorfgeschichte in Einzeldarstellungen“)